Steuerlicher Zinssatz verfassungswidrig

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit dem am 18. August 2021 veröffentlichten Beschluss, erklärte das Bundesverfassungsgericht die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen mit jährlich 6 % ab dem Jahr 2014 für verfassungswidrig.

Wir möchten Sie kurz über die Einzelheiten informieren.

Bisherige Rechtsprechung:

Steuernachforderungen und Steuererstattungen wurden bisher nach Ablauf einer 15-monatigen Wartefrist des entsprechenden Kalenderjahres mit einem monatlichen Zinssatz von 0,5 % verzinst. Daraus ergibt sich ein Jahreszins von 6 %. Hierdurch soll ein finanzieller Ausgleich des Vorteils erfolgen, den der Steuerpflichtige durch das Hinauszögern von Steuerzahlungen erlangt. Dies gilt auch für die Verzinsung zugunsten der Steuerpflichtigen, wenn diese auf eine Erstattung warten müssen.

Seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 haben sich die niedrigen Zinsen am Geld- und Kapitalmarkt verfestigt, während der pauschale steuerliche Zinssatz seit 1961 unverändert blieb.

Kritiker argumentierten, dass das Beharren auf ungewöhnlich hohen Zinssätzen überholt sei, da Sparer derzeit kaum mit solchen Renditen ihr Geld anlegen können und somit das Regulierungsziel, potenzielle Zinsvorteile auszugleichen, praktisch nicht mehr umgesetzt wird.

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts:

Das Bundesverfassungsgericht hat nun entschieden, dass Zinsen nach § 233a AO, also jeder Steuerart nämlich Einkommensteuer, Körperschaftssteuer, Grundsteuer, Umsatz- und Gewerbesteuer, seit 2014 verfassungswidrig sind. Der Gesetzgeber ist nun verpflichtet rückwirkend bis zum 31. Juli 2022 neue Verfassungsbestimmungen zu erlassen.

Konkrete Rechtsfolgen des Beschlusses:

Es muss zwischen drei Fallgruppen unterschieden werden:

  1. Die Zinsperiode von 2013 und früher ist von der Verfassungswidrigkeit nicht betroffen, d.h. der jährliche Zins von 6 % ist hier nicht zu beanstanden. Steuerpflichtige, die hier Einspruch einlegen, müssen damit rechnen, dass ihr Einspruch abgelehnt wird.
  2. Für die Zinsperiode 2014 bis einschließlich 2018 wurde nun festgestellt, dass der Zinssatz verfassungswidrig ist, jedoch gilt weiterhin das aktuelle Recht. Dies bedeutet, dass auch in diesen Fällen eingelegte Einsprüche zurückgewiesen werden und der ausgesetzte Betrag bezahlt werden muss.
  3. Lediglich für Zinsperioden beginnend im Jahr 2019 bis zur Gegenwart muss der Gesetzgeber vor dem 31. Juli 2022 „verbessern“ und neue Regelungen zur Zinshöhe formulieren. Von dieser Neuregelung können jedoch nur diejenigen profitieren, die gegen den Zinsbescheid einen Einspruch eingelegt haben oder in Fällen, in denen die Zinsbescheide vorläufig nach § 165 AO festgesetzt worden sind.

Für die dritte Fallgruppe bleibt abzuwarten, wie die Finanzbehörden reagieren werden und wie die Übergangslösung aussehen wird.

Bedeutung für Steuerzahler:

Aufgrund der unklaren Rechtslage setzt das Finanzamt seit Mai 2019 in allen Bescheiden nur vorläufig Zinssätze fest. Bei Bedarf kann der Betrag nachträglich korrigiert werden. Wenn Sie zu hohe Zinsen zahlen, erhalten Sie Ihr Geld zurück. Aber auch das Umgekehrte kann gelten: Wer sich über die hochverzinste Steuerrückerstattung freut, muss eventuell etwas zurückzahlen. Aber vieles hängt von den Details der Entscheidung ab. Zudem verzichteten die Behörden aufgrund der Entscheidung des BFH unter bestimmten Umständen vorübergehend auf die Erhebung strittiger Zinsen.

Wir werden für Sie alle notwendigen Maßnahmen in die Wege leiten und Ihre Rechtsposition entsprechend wahren. Es bleibt abzuwarten, welche Regelung der Gesetzgeber treffen wird.

Für weitergehende Informationen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

    Volker Mühl                       Ina Mücke